Beschluss OLG Düsseldorf v. 20.7.2021 – 12 W 7/21
Bei einem Start-Up Unternehmen sind die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für eine positive Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung aufgestellt hat (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 23.01.2018 – II ZR 246/15), nicht uneingeschränkt anwendbar.
Geschäftsführer einer GmbH oder UG; Vorstände einer AG, von Vereinen, Genossenschaften und Stiftungen haften ab Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung mit ihrem Privatvermögen für unerlaubte, aber auch für unterbliebene Zahlungen. Der Geschäftsführer haftet ab dem Zeitpunkt der Insolvenzantragspflicht für alle Zahlungen, für die kein Gegenwert in die Insolvenzmasse geflossen ist.
Im Regelfall bahnt sich eine Insolvenz allmählich an. Im Verlauf der Entwicklung tritt irgendwann der Zeitpunkt ein, wo entweder die Gesellschaft nach § 17 Insolvenzordnung (InsO) zahlungsunfähig oder nach § 19 InsO überschuldet ist
Der Insolvenzverwalter muss in einem Haftungsprozess daher darlegen, dass der Geschäftsführer trotz Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ohne positive Fortführungsprognose den Betrieb fortführte. Denn eine positive Fortführungsprognose schließt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO eine insolvenzrechtliche Überschuldung aus.
Der Geschäftsführer eines Start-ups darf von einer positiven Prognose ausgehen, solange nicht konkret wahrscheinlich ist, dass der Finanzierer (Eigentümer oder Fremdkapitalgeber) das Start-up-Unternehmen nicht weiterfinanzieren wird. Denn es erscheint nicht sachgerecht, das in der Aufbauphase eines Unternehmens naturgemäß bestehende Insolvenzrisiko auf Geschäftsführer abzuwälzen, sofern eine entsprechend dokumentierte, realistische Finanzplanung erstellt wurde.
Für die positive Fortführungsprognose von Bestandsunternehmen ist :
- Subjektiv ein Fortführungswille der Geschäftsleitung und der Gesellschafter erforderlich.
- Objektiv muss ein aussagekräftiges, schlüssiges und realisierbares Unternehmenskonzept mit einem Ertrags- und Finanz- bzw. Liquiditätsplan für einen angemessenen Prognosezeitraum vorliegen und daraus die Überlebensfähigkeit des Unternehmens abzuleiten sein, vgl. BGH v. 23.1.2018 – II ZR 246/15, ZIP 2018, 576.
Im Gegensatz dazu gilt für Start-ups, dass es
- neben den gleichermaßen anwendbaren subjektiven Kriterien
- in objektiver Hinsicht einer Finanz- bzw. Liquiditätsplanung bedarf, die seit 1.1.2021 für den Zeitraum der nächsten 12 Monate zu erstellen und laufend zu aktualisieren ist.
Die dafür getroffenen Annahmen müssen realistisch erscheinen, d.h. erforderlich ist ein nachvollziehbares operatives Konzept. Nicht die darin getroffenen Annahmen für Umsatz- und Ergebnisentwicklung müssen überwiegend wahrscheinlich sein; auch die Überlebensfähigkeit des Unternehmens muss sich aus der Finanz- bzw. Liquiditätsplanung nicht ableiten lassen.
Für die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Erfüllung fällig werdender Zahlungsverpflichtungen auf Sicht der nächsten 12 Monate muss neben dem nachvollziehbaren operativen Konzept hinzukommen, dass:
- ein Gesellschafter oder sonstiger Dritter eine – nicht notwendigerweise einklagbare bzw. durchsetzbare – Finanzierungszusage abgegeben und den Finanzierungswillen sowie die Finanzkraft durch wiederholte Gewährung von Eigen‑, Hybrid- oder Fremdkapital untermauert haben.
Hinweis: Geschäftsführer sollten eine „ständige, intensive Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens“ vornehmen, um die persönliche Haftung zu vermeiden.
Wenn Sie Fragen zur Geschäftsführerhaftung haben, sprechen Sie uns gerne an.
Katharina Lieben-Obholzer, Rechtsanwältin bei KMW