Vertragsärztliches Disziplinarverfahren wegen Verletzung der Behandlungspflicht - 2.500,00 EUR Geldbuße

Verweigerung einer Behandlung als Kassenpatient wegen vermeintlicher Überlastung, stattdessen privatärztliche Behandlung am selben Tag - Verstoß gegen das Sachleistungsprinzip

Sozialgericht München, Urteil vom 23.04.2021, Az. S 28 KA 116/18

Sachverhalt

Der Kläger verweigerte aus Kapazitätsgründen die Behandlung einer Patientin zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), behandelte die Patientin jedoch am gleichen Tag und rechnete die erbrachten Leistungen privat i.H.v. 40,00 € gegenüber der Patientin ab.

Darüber hinaus rechnete er zudem die Grundpauschale (GOP 06212 EBM) sowie einen kleinen chirurgischen Eingriff (GOP 02301 EBM) auf kassenärztlichem Wege ab.

In der Einverständniserklärung heißt es:

"Ich wünsche die Durchführung der folgenden individuellen Gesundheitsleistung(en):

Zweitmeinung

Mir ist bekannt, dass diese von mir gewünschte(n) ärztliche(n) Leistung(en) nicht zum Leistungs-katalog meiner gesetzlichen Krankenkasse gehört und dass die Liquidation für diese Leistung(en) auf der Grundlage der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) erfolgt.

Die Kosten der Leistung(en) betragen: 40,- €

Ich erkläre durch meine eigene Unterschrift, dass ich über die vorgesehene(n) Leistung(en) ausreichend aufgeklärt worden bin und die Kosten im Anschluss an die erbrachten Leistungen begleichen werde.

Mir ist außerdem bekannt, dass mein behandelnder Arzt diese Leistung(en) nicht mit meiner Krankenkasse abrechnen kann und die Privatrechnung nicht von meiner Krankenkasse erstattet werden kann."

Die Patientin beschwerte sich bei der Kassenärztlichen Vereinigung, die letztlich eine Geldbuße von 2.500 EUR gegen den Arzt verhängte.

Entscheidung

Das Sozialgericht München bestätigte die Geldbuße. 

Ein derartiges Vorgehen verstößt nach Ansicht des Sozialgerichts München gegen das Sachleistungsprinzip sowie gegen die Vorschrift des § 128 Abs. 5a SGB V.

Gemäß § 13 Abs. 7 BMV-dürfe der Vertragsarzt die Behandlung eines Versicherten auch nur in begründeten Fällen ablehnen. Vorliegend habe es sich um eine Notfall- bzw. akute Schmerzbehandlung gehandelt, deren Verweigerung auch bei Erreichen von Kapazitätsgrenzen als pflichtwidrig zu bewerten sei.

Die Zulassung bewirkt für den Vertragsarzt gemäß § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V das Recht und die Pflicht, an der kassenärztlichen Versorgung teilzunehmen. Nach dem Sachleistungsprinzip hat der Arzt seine Leistung als Sachleistung, das heißt für den Kassenpatienten gänzlich kostenfrei zu erbringen (BayLSG, Urteil vom 15.1.2014, Az. L 12 KA 91/13, Rn. 17). In Ausnahmefällen darf auch er gem. § 13 Abs. 7 S. 3 BMV-Ä die Behandlung in begründeten Fällen ablehnen. Ein solcher begründeter Fall kann durchaus in einer Überlastung des Arztes liegen.

Eine derartige kapazitätsmäßige Überlastung habe bei dem Vertragsarzt im vorliegenden Fall nach Auffassung des Gerichts nicht vorgelegen:

Indem der Kläger die von der Versicherten begehrte GKV-Behandlung am 21.9.2015 als privatärztliche Behandlung anbot und abrechnete, verstieß er gegen das Sachleistungsprinzip sowie gegen die Vorschrift des § 128 Abs. 5a SGB V. Diese lautet: Vertragsärzte, die unzulässige Zuwendungen fordern oder annehmen oder Versicherte zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflussen, verstoßen gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten.

Da der Vertragsarzt die Patientin zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden GKV-Leistung überredet habe, liegt auch ein Verstoß gegen § 128 Abs. 5a SGB V vor. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang nicht auf die Vertragsfreiheit berufen. Der Vertragsfreiheit steht die dem Kläger gegenüber der Versicherten W. B. obliegende Behandlungspflicht gem. § 13 Abs. 7 BMV-Ä entgegen. Über diese Behandlungspflicht hat der Kläger die Versicherte fehlerhaft informiert und somit unzulässig zur Unterzeichnung der Einverständniserklärung und Zahlung von 40,00 € "motiviert". 

Praxishinweis

Besonders zu beachten ist, dass ein wichtiger Grund nicht in der alleinigen Überschreitung von Budget- oder Fallzahlobergrenzen liegt. 

Die Behandlung von Kassenpatienten kann der Vertragsarzt nur in begründeten Fällen ablehnen, u.a. bei:

  • fehlenden Vertrauensverhältnis,
  • fehlenden fachlichen Fähigkeiten,
  • fehlenden Sachmittel,
  • ungebührlichen Verhalten eines Patienten oder bei
  • medizinisch nicht indizierter Maßnahmen (z. B. Schönheitseingriffen)

Mit der Verletzung der Behandlungspflicht hat der Vertragsarzt gegen einen elementaren Grundsatz des Vertragsarztrechts verstoßen. Die Pflicht zur Behandlungsübernahme sowie die Beachtung des Sachleistungsprinzips sind Grundpflichten des Arztes, deren Verletzung sogar zu der Entziehung der Zulassung führen kann. 

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass - insbesondere Vertragsärzte - von der Ablehnung eines Patienten nur nach sorgfältiger Abschätzung Gebrauch machen sollten.

 

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Katharina Lieben-Obholzer, Rechtsanwältin bei KMW