Videoüberwachung in einer Zahnarztpraxis

Fall: Die Klägerin betreibt eine Zahnarztpraxis im ersten Stock eines Gesundheitszentrums. In den Praxisräumen sind zwei Videokameras in Behandlungszimmern und eine im Eingangsbereich oberhalb des Anmeldetresens an einer Säule installiert. Diese ist auf den Flur vor dem Anmeldetresen bis zur Eingangstür, einen großen Teil des Tresens, den Mitarbeiterbereich hinter dem Tresen sowie einige Stühle im Wartezimmer ausgerichtet. Die Eingangstür zu der Praxis ist oben rechts mit dem Schild „Videogesichert“ gekennzeichnet. Ferner weist ein Schild an der Säule auf die Kamera im Eingangsbereich hin. Diese überträgt eine Ansicht des von ihr erfassten Bereichs auf Bildschirme in den Behandlungszimmern. Eine Speicherung der Bilder findet nicht statt. Die Landesdatenschutzaufsicht hatte die Zahnärztin aufgefordert, die Videokamera so auszurichten, dass Patienten und sonstige Besucher im Bereich vor dem Empfangstresen sowie im Flur zwischen Tresen und Eingangstür sowie im Wartezimmer nicht erfasst werden (Bescheid vom 16. Oktober 2012). Dagegen hatte die Zahnärztin Widerspruch erhoben und bis zum Bundesverwaltungsgericht geklagt.

Die Zahnärztin trug im Verfahren vor: Es gehe bei der Videoüberwachung darum zu erkennen, wer die Praxis betrete und insbesondere darum, Straftaten zu verhindern. Ferner wolle sie „eingespritzte“ Patienten beobachten.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin‐Brandenburg entschied: Das Verwaltungsgericht Potsdam ist zutreffend davon ausgegangen, dass aus der Beschilderung der Videoüberwachung nicht auf eine Einwilligung geschlossen werden kann. Die Videoüberwachung ist auch nicht gemäß § 6b BDSG zulässig. Nach § 6b Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit Videoüberwachung nur zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Die Videoüberwachung zu diesen Zwecken ist zumindest nicht erforderlich. Der durchgängige Einsatz von Personal im Eingangsbereich sei insofern eine ebenso wirksame Maßnahme, die das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen weniger beeinträchtige. Im Übrigen könne die Klägerin Rezeptblöcke, Betäubungsmittel, Zahngold, EC‐Lesegeräte und Ähnliches hinter dem Anmeldetresen und damit in einem Bereich, wo die Videoüberwachung nicht untersagt worden sei, aufbewahren. Wertgegenstände der Patienten könnten diese mit in die Behandlungsräume nehmen. Im Übrigen stünden der Videoüberwachung überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen entgegen. Es werde in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen, da ein Überwachungsdruck ausgelöst werde. Demgegenüber sei das Interesse der Klägerin an der Videoüberwachung entsprechend den vorstehenden Überlegungen als gering zu bewerten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 27.03.2019 (Az.: 6 C 2.18) entschieden, dass eine Videoüber‐ wachung in einer Zahnarztpraxis, die ungehindert betreten werden kann, strengen Anforderungen an die datenschutzrechtliche Erforderlichkeit unterliegt. Damit eine Beobachtung, auch ohne Speicherung der Bilder, zulässigerweise erfolgt, muss dargelegt werden, dass diese zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist und keine schutzwürdigen Interessen der Betroffenen überwiegen. Eine derartige Notwendigkeit für eine Videoüberwachung des Eingangsbereichs ihrer Arztpraxis konnte die klagende Zahnärztin jedoch nicht nachweisen.

Ergebnis: Keine Erhebung, Verarbeitung oder Speicherung von personenbezogenen Daten ohne Rechtsgrundlage

Wenn ausreichende Gründe substantiiert dargelegt werden, warum eine Videoüberwachung im konkreten Fall notwendig ist, wird es nach unserer Erfahrung möglich sein, entsprechende berechtigte Interessen nachzuweisen und darzulegen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht überwiegen. Hierfür ist aber eine umfangreiche Dokumentation erforderlich, damit im Falle einer aufsichtsrechtlichen Überprüfung der Rechenschaftspflicht aus Art. 5 Abs. 2 DSGVO Rechnung getragen werden kann.

Hinweis: DS‐GVO wurde in diesem Fall nicht angewendet, weil die Anordnung vor dem 25.05.2018 erlassen wurde. Das Bundesverwaltungsgericht verweist in der Revision darauf, dass die DSGVO auf eine Anordnung nicht Anwendung findet, die vor dem 25.05.2018 erlassen wurde. Anordnungen, die nach dem 25.05.2018 erfolgt sind, unterfallen der DSGVO und dem BDSG n.F. Diese setzen ebenfalls voraus, dass die Videoüberwachung dem berechtigten Interesse des Aufstellers (dem Eigeninteresse oder neu: Drittinteresse) dient und erforderlich ist. Die Videoüberwachung ist erforderlich, wenn sie in der konkreten Situation dazu geeignet ist, den verfolgten Zweck zu erreichen und keine, weniger einschneidende Alternative vorhanden ist. Hinzu kommt eine Abwägung der widerstreitenden Interessen. Besonders schutzwürdig sind Kinder, deren Rechte bei der Abwägung verstärkt berücksichtigt werden müssen.

Rechtsanwältin Katharina Lieben‐Obholzer, KMW | Lieben‐Obholzer, Kanzlei für Medizin und Wirtschaft, Kurfürstendamm 216, 10719 Berlin (Stand: 06.05.2019)